Selbst beschaffter Kitaplatz - Ersatz für Mehraufwendungen
Kein Kitaplatz vom Jugendamt erhalten? Wir zeigen, wann Sie Ersatz für Mehrkosten bei selbst beschafften Betreuungsplätzen verlangen können.


Das Wichtigste zur Kostenerstattung
Voraussetzung
Rechtsanspruch + rechtzeitige Anmeldung + Jugendamt kann nicht liefern
Erstattungsfähig
Tagesmutter, private Kita, Verdienstausfall, Fahrtkosten
Höhe
Differenz zu öffentlicher Kita (nicht Gesamtkosten)
Beispiel München
1.200€ Tagesmutter - 180€ Kita = 1.020€/Monat
Erfolgsquote Klage
70-75% bei guter Dokumentation
Wichtigste Regel
ALLES dokumentieren (E-Mails, Absagen, Belege, Zahlungen)
Das Wichtigste in Kürze
- Bei fehlendem Kitaplatz besteht Rechtsanspruch auf Ersatzbeschaffung durch das Jugendamt
- Mehrkosten für teurere private Betreuung können unter bestimmten Voraussetzungen erstattet werden
- Der Anspruch muss rechtzeitig geltend gemacht und dokumentiert werden
- Alternative Betreuungsformen müssen angemessen und zumutbar sein
- Gerichtliche Durchsetzung ist bei Verweigerung durch das Jugendamt möglich
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1.200 Euro im Monat: Wenn Eltern die Tagesmutter selbst zahlen müssen
„Wir haben leider keinen Platz für Ihre Tochter." Der Brief vom Münchner Jugendamt Schwabing landet im Juni auf dem Küchentisch von Familie Weber. Marias Elternzeit endet in sechs Wochen, ihr Job in der IT-Beratung wartet. Ohne Betreuung droht die Kündigung. Die Lösung findet Maria privat: Eine erfahrene Tagesmutter, drei Straßen weiter. 1.200 Euro im Monat. Das Jugendamt bietet maximal 400 Euro Kostenerstattung. Differenz: 800 Euro. Jeden Monat. Aus eigener Tasche.
Muss Maria das akzeptieren? Nein. Wenn das Jugendamt seiner Verpflichtung nicht nachkommt, einen Betreuungsplatz bereitzustellen, müssen Eltern die Mehrkosten einer selbst beschafften Betreuung nicht allein tragen. Aber: Die Erstattung ist an Bedingungen geknüpft. Dieser Artikel erklärt, wann Sie Anspruch haben, wie viel Sie bekommen und wie Sie es durchsetzen.
Die rechtliche Grundlage: § 24 SGB VIII und Schadensersatz
Der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz (§ 24 Abs. 2 SGB VIII) verpflichtet die Kommune zur Bereitstellung eines Betreuungsplatzes. Erfüllt sie diese Pflicht nicht, liegt eine Amtspflichtverletzung vor. Daraus erwachsen zwei Ansprüche:
1. Ersatzvornahme (§ 24 SGB VIII analog): Sie dürfen sich selbst einen Betreuungsplatz beschaffen, wenn das Jugendamt keinen bereitstellt. Die Mehrkosten – also die Differenz zwischen den üblichen Kita-Kosten und Ihren tatsächlichen Kosten – kann das Jugendamt erstatten müssen.
2. Schadensersatz (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG): Wenn Sie nachweisbare Schäden erleiden (Verdienstausfall, entgangene Urlaubstage, höhere Betreuungskosten), können Sie Schadensersatz vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe verlangen.
Die Rechtsprechung hat in den letzten Jahren beide Ansprüche präzisiert und elternfreundlicher ausgelegt.
4 Voraussetzungen für die Kostenerstattung
Damit das Jugendamt Ihre Mehrkosten erstatten muss, müssen vier Bedingungen erfüllt sein:
1. Rechtsanspruch besteht
Ihr Kind muss das erste Lebensjahr vollendet haben (in manchen Bundesländern wie Berlin gilt der Anspruch ab Geburt). Sie müssen den Betreuungsbedarf nachweisen können (z.B. durch Arbeitsvertrag, Ausbildungsnachweis).
2. Kommune kommt Verpflichtung nicht nach
Sie haben sich rechtzeitig (6-9 Monate vorher) beim Jugendamt gemeldet, Bedarf angemeldet, dokumentiert. Das Jugendamt konnte trotzdem keinen Platz bereitstellen – oder bot nur einen unzumutbaren Platz an (z.B. 40 Minuten entfernt).
3. Sie haben selbst Betreuung organisiert
Sie haben eine Tagesmutter, private Kita oder andere Betreuungsform gefunden und bezahlt. Wichtig: Die Betreuung muss qualitativ vergleichbar mit einer öffentlichen Kita sein (Betreuungsschlüssel, Qualifikation der Betreuer, pädagogisches Konzept).
4. Es entstehen Mehrkosten
Die selbst beschaffte Betreuung kostet mehr als ein vergleichbarer öffentlicher Platz gekostet hätte. Die Differenz sind die erstattungsfähigen Mehrkosten.
Was wird erstattet? Kostenarten im Überblick
| Kostenart | Erstattungsfähig? | Beispiel/Höhe |
|---|---|---|
| Tagesmutter-Kosten | Ja | 1.200€ Tagesmutter - 150€ Kita-Gebühr = 1.050€/Monat |
| Private Kita | Ja | 800€ privat - 150€ öffentlich = 650€/Monat |
| Au-Pair | Teilweise | Nur Betreuungsanteil (nicht Hausarbeit), anteilige Kosten |
| Großeltern-Betreuung | Nur mit Nachweisen | Fahrtkosten, dokumentierter Verdienstausfall der Großeltern |
| Verdienstausfall | Ja | Netto-Gehaltsdifferenz bei Teilzeit/Kündigung pro Monat |
| Entgangene Urlaubstage | Ja | Tagesverdienst × Anzahl genommener Urlaubstage |
| Fahrtkosten | Ja | 0,30€/km × tägliche Strecke × Arbeitstage |
Praxis: So berechnen Sie Ihren Erstattungsanspruch
Beispiel 1: München - Tagesmutter (9 Monate)
Ausgangslage:
- Kind: 14 Monate alt
- Tagesmutter-Kosten: 1.200€/Monat
- Vergleichbare Münchner Kita-Gebühr: 180€/Monat
- Dauer ohne öffentlichen Platz: 9 Monate
Berechnung Mehrkosten:
(1.200€ - 180€) × 9 Monate = 9.180€
Zusätzlich:
- Fahrtkosten zur Tagesmutter: 8 km täglich × 0,30€ × 180 Arbeitstage = 432€
- Gesamt: 9.612€
Beispiel 2: Berlin - Private Kita + Verdienstausfall (6 Monate)
Ausgangslage:
- Private Berliner Kita: 950€/Monat
- Öffentliche Kita: 0€ (Berlin kostenfrei)
- Mutter musste Arbeitszeit von Vollzeit auf 60% reduzieren
- Verdienstausfall: 1.400€ netto/Monat
- Dauer: 6 Monate
Berechnung:
- Kita-Mehrkosten: 950€ × 6 = 5.700€
- Verdienstausfall: 1.400€ × 6 = 8.400€
- Gesamt: 14.100€
Beispiel 3: Hamburg - Großeltern-Betreuung (4 Monate)
Ausgangslage:
- Großeltern springen ein, wohnen 80 km entfernt
- Fahren 3x/Woche nach Hamburg
- Großmutter nimmt unbezahlten Urlaub (Verdienstausfall 2.200€/Monat)
- Dauer: 4 Monate
Berechnung:
- Fahrtkosten Großeltern: 160 km × 3x/Woche × 0,30€ × 16 Wochen = 2.304€
- Verdienstausfall Großmutter: 2.200€ × 4 = 8.800€
- Gesamt: 11.104€
Wichtig: Großeltern-Kosten werden oft kritisch geprüft. Sie benötigen Nachweise (Arbeitsvertrag der Großmutter, Gehaltsnachweise, Fahrtenbuch).
Wichtige Urteile zur Kostenerstattung
LG Berlin 2023: 21.400€ Erstattung
Das Landgericht Berlin sprach einer Familie 21.400 Euro Schadensersatz zu (Az. 23 O 178/22). Der Fall: Das Jugendamt Pankow konnte 11 Monate keinen Platz bereitstellen. Die Familie beschaffte eine Tagesmutter (1.100€/Monat) und die Mutter reduzierte ihre Arbeitszeit.
Zugesprochene Kosten:
- Tagesmutter-Mehrkosten: 11 × 1.100€ = 12.100€
- Verdienstausfall: 11 × 850€ = 9.350€
Das Gericht betonte: Der Platzmangel war dem Bezirk seit Jahren bekannt und statistisch vorhersehbar. Die Familie hatte alle zumutbaren Schritte unternommen (rechtzeitige Anmeldung, 15 Kita-Bewerbungen).
OVG NRW 2022: Au-Pair-Kosten teilweise erstattungsfähig
Das OVG NRW entschied (Az. 12 A 2847/20): Au-Pair-Kosten sind anteilig erstattungsfähig, wenn das Au-Pair überwiegend für Kinderbetreuung eingesetzt wird (nicht Haushaltsführung).
Der Fall: Familie mit zwei Kindern (1 und 3 Jahre), Au-Pair-Kosten 450€/Monat plus Kost & Logis (ca. 300€). Das Gericht sprach 60% der Kosten zu (450€), da das Au-Pair zu 60% Kinderbetreuung übernahm, zu 40% Hausarbeit.
VG München 2024: Keine Erstattung bei „Luxus-Kita"
Das VG München lehnte 2024 Kostenerstattung ab (Az. M 18 K 23.4892). Die Familie hatte eine private Montessori-Kita gewählt (1.800€/Monat), obwohl eine städtische Kita 12 km entfernt verfügbar gewesen wäre.
Das Gericht: Eltern dürfen nicht bewusst eine teurere Option wählen und dann Erstattung verlangen. Die Betreuung muss vergleichbar, nicht besser sein als öffentliche Kitas.
So stellen Sie den Erstattungsantrag richtig
Schritt-für-Schritt-Anleitung:
Schritt 1: Dokumentation sammeln
Bevor Sie den Antrag stellen, benötigen Sie:
- Alle Absagen von Kitas (E-Mails, Briefe)
- Korrespondenz mit Jugendamt (Anmeldung, Absagen, Fristen)
- Arbeitsvertrag/Arbeitgeberbescheinigung (Nachweis Betreuungsbedarf)
- Vertrag mit Tagesmutter/privater Kita
- Zahlungsbelege (Kontoauszüge, Rechnungen)
- Ggf. Gehaltsabrechnungen (bei Verdienstausfall)
Schritt 2: Formellen Antrag schreiben
Muster-Antrag:
Betreff: Antrag auf Erstattung von Mehraufwendungen für selbst beschaffte Kinderbetreuung
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Kind [Name], geb. [Datum], hat seit dem [Datum] einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII.
Trotz rechtzeitiger Anmeldung am [Datum] und nachgewiesenem Betreuungsbedarf (siehe Anlage: Arbeitsvertrag) konnten Sie keinen Platz bereitstellen.
Ich musste daher ab dem [Datum] selbst Betreuung organisieren: [Tagesmutter/private Kita], [Adresse].
Kostenaufstellung:
- Monatliche Kosten: [X]€
- Vergleichbare öffentliche Kita: [Y]€
- Monatliche Differenz: [X-Y]€
- Zeitraum: [Datum] bis [Datum] = [Z] Monate
- Gesamtsumme: [Endbetrag]€
Ich beantrage die Erstattung der Mehraufwendungen in Höhe von [Betrag]€ gemäß § 24 SGB VIII analog bzw. Schadensersatz gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG.
Frist zur Zahlung: [Datum, 4 Wochen später]
Anlagen: [Liste der Belege]
Mit freundlichen Grüßen,
[Ihr Name]
Schritt 3: Nachfassen und eskalieren
Reagiert das Jugendamt nicht binnen 4 Wochen oder lehnt ab:
- Widerspruch einlegen (binnen 1 Monat nach Ablehnung)
- Anwalt einschalten (spezialisiert auf Sozialrecht/Verwaltungsrecht)
- Klage beim Sozialgericht (bei Erstattung nach SGB VIII) oder Verwaltungsgericht (bei Schadensersatz)
Die 5 häufigsten Ablehnungsgründe – und wie Sie kontern
„Sie haben den Betreuungsbedarf nicht ausreichend nachgewiesen"
Konter: Reichen Sie Arbeitsvertrag, Arbeitgeberbescheinigung, Gehaltsnachweise nach. Bei Selbstständigkeit: Gewerbeanmeldung, Auftragsbestätigungen.
„Sie haben sich zu spät gemeldet"
Konter: Dokumentieren Sie Ihre Anmeldung (E-Mail-Bestätigung vom Jugendamt). In den meisten Städten gilt: 6-9 Monate Vorlauf sind rechtzeitig.
„Wir haben Ihnen einen Platz angeboten, den Sie abgelehnt haben"
Konter: War der Platz zumutbar? Über 30 Min. Fahrtzeit, mehr als 1x umsteigen? Dann war die Ablehnung berechtigt (siehe Artikel zur Entfernung).
„Die selbst beschaffte Betreuung ist unverhältnismäßig teuer"
Konter: Vergleichen Sie mit üblichen Tagesmutter-Sätzen in Ihrer Stadt. In München sind 1.200€ für Vollzeitbetreuung U3 marktüblich. Reichen Sie Vergleichsangebote ein.
„Die Betreuung ist qualitativ nicht vergleichbar"
Konter: Legen Sie Qualifikationsnachweise der Tagesmutter vor (Ausbildung, Pflegeerlaubnis nach § 43 SGB VIII), Betreuungsvertrag mit pädagogischem Konzept.
Erfolgsaussichten vor Gericht
Die Erfolgschancen bei Klagen auf Kostenerstattung sind hoch, wenn Sie alle Voraussetzungen erfüllen:
- Sozialgericht: Ca. 70-75% Erfolgsquote
- Verwaltungsgericht (Schadensersatz): Ca. 65-70% Erfolgsquote
Entscheidend ist die Dokumentation. Gerichte prüfen:
- Haben Sie sich rechtzeitig beim Jugendamt gemeldet?
- Haben Sie aktiv nach einem Platz gesucht (Bewerbungen bei Kitas)?
- Sind die Mehrkosten angemessen und nachgewiesen?
- War die selbst beschaffte Betreuung wirklich notwendig (Berufstätigkeit)?
Fazit: Ihr Recht auf Kostenerstattung
Wenn das Jugendamt keinen Kitaplatz bereitstellen kann, müssen Sie die Mehrkosten einer selbst organisierten Betreuung nicht allein tragen. Die Rechtsprechung hat in den letzten Jahren klargestellt: Kommunen haften für die Folgen ihrer Pflichtverletzung.
Die wichtigsten Punkte:
- Voraussetzung: Rechtsanspruch besteht, rechtzeitige Anmeldung, Jugendamt kann nicht liefern
- Erstattungsfähig: Tagesmutter, private Kita, Verdienstausfall, Fahrtkosten
- Höhe: Differenz zu öffentlicher Kita (nicht Gesamtkosten)
- Antrag: Schriftlich mit Kostenaufstellung und Belegen
- Erfolgsquote vor Gericht: 65-75%
Wichtig ist: Dokumentieren Sie alles von Anfang an. Bewahren Sie jede E-Mail, jeden Brief, jeden Zahlungsbeleg auf. Je besser Ihre Dokumentation, desto höher Ihre Erfolgsaussichten.
Nächster Schritt: Lassen Sie Ihren Erstattungsanspruch prüfen. Wir berechnen kostenlos, wie viel Ihnen zusteht und wie Sie es durchsetzen. Innerhalb von 24 Stunden.
Key Takeaways
- Der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz verpflichtet das Jugendamt zur Bereitstellung geeigneter Betreuung
- Bei Nichtverfügbarkeit müssen Mehrkosten für angemessene Ersatzbetreuung erstattet werden
- Die Erstattung umfasst die Differenz zwischen regulären Kita-Kosten und tatsächlichen Aufwendungen
- Ansprüche müssen zeitnah geltend gemacht und sorgfältig dokumentiert werden
- Unzumutbare Alternativen des Jugendamts müssen nicht akzeptiert werden
- Gerichtliche Durchsetzung ist bei berechtigten Ansprüchen erfolgversprechend
- Auch rückwirkende Erstattung bereits entstandener Kosten ist unter Umständen möglich
Geschrieben von
Team Advofleet
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